Liberation

Sie ist mächtig, ausladend, edel – und weithin sichtbar. Seit dem Frühsommer 2005 beherrscht sie einen Hügel auf einem tunesischen Weingut, der Domaine Atlas. Die Skulptur mit dem Titel „Liberation“ ist eine in ihrer Gesamtheit 38 Tonnen-Sandstein-Steele von neun Metern Höhe, geschaffen mit Hilfe einer textilen Gussform, die dem Werkstoff (Gussbeton, weißer Zement und Quarzsand) zwar eine gewisse physikalische und statische Formgebung aufzwingt, gleichzeitig aber genug Freiraum lässt, sodass das Material spontan verfließen kann. Die spontane Selbstformung im Moment des Eingießens der Sandstein-Beton-Mischung in die textile Gussform führt zu einer individuellen, nur durch die zuvor festgelegten Formelemente vorgegebene Gestalt, die der Wächterin eine besondere Lebendigkeit verleiht. Schmiedeeiserne Bänder umgürten die Stele und zeichnen jene Gusslinien nach, die die Gestaltwerdung begrenzen. 

Stellvertretend für die - unterschiedlichen Zwängen ausgesetzte - Existenz von Menschen auf dieser Erde, die trotz äußerlicher Beschränkungen und Beengungen Millionen unterschiedlicher Lebensweisen hervorbringen, steht die Steele im Schwellenland Tunesien für den nach Identität suchenden Kontinent Afrika im Allgemeinen und die Situation der Frauen dieses Kontinents im Besonderen. Einerseits Hüterinnen der Traditionen, andererseits verantwortlich für das Überleben von Familie und Kindern, stehen die afrikanischen Frauen an der Schwelle zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Tradition und Moderne. 
  
Die sie thematisierende Skulptur, eine Art Empfangs- und  Sendemast für Wahrnehmungen und Gefühle, die, weithin sichtbar, der Domaine zugleich treibende Kraft und Energiespeicher ist, blickt gelassen auf das darunter liegende fruchtbare Tal, das für die tunesische Landwirtschaft besonders bedeutsam ist. Weiter südlich, an den Rändern zur Sahara, dort wo das Land trocken und das Leben härter wird, endet die Zone der Fruchtbarkeit. Subsistenzwirtschaft und etwas Handel sichern ein karges Überleben – und jenseits der letzten Behausungen am Rande der Wüste überlebt nur mehr, wer die Rhythmen und Besonderheiten der Sahara mit der Muttermilch eingesogen hat. Dort, am Rande zur Wüste steht eine weitere Stele, die in die Tiefen der Sahara blickt, „La Gardienne“ – die Wächterin.